Nachhaltigkeit hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Deswegen können Menschen, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen, nicht einfach wegsehen, wenn Menschen rassistisch beleidigt, verfolgt oder auch nur irgendwie benachteiligt werden. Doch was kann man tun als weißer, privilegierter Mensch? Ich habe mal einen Freund gefragt, der davon betroffen ist. Diyan Duke ist Amerikaner und lebt seit über zehn Jahren in Deutschland, weil er den offenen Rassismus in seiner Heimat nicht mehr ertragen hat. Sein Wunsch: Weiße Menschen sollten ihre Plattformen nutzen, um andere Weiße Menschen zu informieren. Diesem Wunsch wollte ich gern nachkommen. Was er sich sonst noch erhofft und wie sein Blick auf die Situation in den USA ist, hat er mir in einem kleinen Interview verraten.
Das Interview habe ich im Original auf Englisch geführt
-> Read the English interview here. <-
Wie fühlst du dich, wenn du zurzeit die Nachrichten schaust?
Wenn ich momentan Nachrichten schaue, fühle ich mich irgendwie überfordert, weil so viele Dinge zur gleichen Zeit passieren. Ich verfolge genau, was in meiner Heimatstadt Louisville vor sich geht, und das ist schwer mitanzusehen, denn ich habe Freunde und Familie, die auf die Straße gehen und protestieren und an diesen Dingen teilnehmen, also betrifft mich das direkt.
Engagieren sie sich in letzter Zeit noch stärker bei den Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus?
Manche von meinen Freunden waren schon immer Demonstranten und in jüngerer Zeit sehe ich Leute, die anfangs nicht so interessiert schienen, jetzt aber das Gefühl haben, etwas tun zu müssen. Es wird immer schwieriger, nur vom Rande aus zuzuschauen. Es ist eine Zeit, in der Leute das Bedürfnis haben, etwas zu tun, und das macht mir etwas Hoffnung. Was ich aber sehen muss, ist Konsistenz. Wo werden wir in drei Monaten stehen? Wie wird es zur Weihnachtszeit sein, wenn die Leute sich eher Gedanken darüber machen, was sie Freunden und der Familie zu Weihnachten schenken, und sich ablenken lassen? Ich habe in einem Podcast und im Fernsehen die Hypothese gehört, dass all diese Demonstrationen nicht in diesem Ausmaß stattfinden würden, und dass vor allem weiße Amerikaner nicht so stark dabei wären, wenn Corona nicht wäre. Corona hat alle weichgeklopft.
Wie das?
Viele Leute haben keinen Job, das heißt, sie müssen sich keine Gedanken darüber machen, jeden Tag von neun bis fünf Uhr auf der Arbeit zu sein. Aber die Corona-Zeit war auch für viele weiße Amerikaner das erst Mal, wo sie das Wort „Nein“ zu hören bekamen. Und sie hatten das Gefühl, dass ihre Grundrechte verletzt wurden. Als Schwarzer Mensch oder Angehöriger der indigenen Bevölkerung in Amerika haben wir so etwas schon immer erlebt. Wir sind daran gewöhnt, dass man uns sagt: seid geduldig, wartet ab, das könnt ihr nicht tun, das ist euch nicht erlaubt. Der weiße Teil Amerikas kennt das nicht, und jetzt lernten sie es kennen. Für viele war das ein Weckruf.
Was glaubst du, wie nachhaltig ist diese Reaktion?
Das meine ich mit Konsistenz. Was passiert, wenn die Dinge sich wieder etwas normalisieren? Ich denke, da wird es schon Leute geben, die sagen „Klar, das hat Spaß gemacht, aber jetzt muss ich in mein normales Leben zurück“. Auf der anderen Seite sieht man, dass ein Großteil dieser Bewegung von jungen Leuten getragen wird. Die Bürgerrechtsbewegung wurde von jungen Leuten angeführt, Martin Luther King war ein junger Mann, Malcom X war ein junger Mann, die Black Panthers waren junge Studierende, junge Hippies protestierten gegen den Vietnamkrieg. Und jetzt sind die jungen Menschen noch besser vernetzt durch die sozialen Medien und ich denke, dass sie diese Sache weiter durchboxen werden. Das ist die Hoffnung, die ich habe. Bei vielen älteren Leuten bin ich mir nicht so sicher.
Erlebst du bei deinen weißen Bekannten, dass sie wenig über Rassismus wissen oder es nicht wahrhaben wollen?
Mit Sicherheit. Nicht so sehr bei meinen Bekannten in Europa, aber in Amerika schon. Manche würden leugnen, dass sie als Weiße privilegiert sind. Das liegt daran, dass sie nicht verstehen, was das weiße Privileg ist. Sie sagen: Wenn ich privilegiert bin, warum bin ich dann nicht Bill Gates, warum bin ich kein Millionär? Das hat nichts mit weißer Privilegiertheit zu tun. Weißes Privileg schirmt dich ab von vielen Dingen, die wir Schwarzen Amerikaner oder Indigene uns sehr genau überlegen müssen. Ein Beispiel: Der Bruder einer Freundin ist Mexikaner und muss immer sehr genau darüber nachdenken, was er für ein Auto fährt. Er hat Geld. Wenn er ein zu schickes Auto fährt, wird er immer angehalten werden, weil die Polizei es für gestohlen hält. Fährt er ein nicht so schickes Auto und hält sich in bestimmten Gegenden auf, wird er für einen Kriminellen gehalten. Ein Weißer Mensch muss niemals in dieser Weise überlegen, was für ein Auto er fährt. Es gibt noch etwas, dass die Menschen an Privilegiertheit nicht verstehen. Erst seit kurzem gibt es mehr Möglichkeiten beim Makeup, weil Makeup normalerweise für Weiße gemacht wird. Pflaster haben die Farbe, die sie haben, weil sie zu der Hautfarbe weißer Leute passen sollen. Alles wird für euch gemacht. Ihr seid der Standard. An uns wird erst im Nachhinein gedacht.
Was können Weiße Menschen denn jetzt tun?
Informiert euch. Wir sind es leid, Leuten immer wieder zu erklären, was vor sich geht. Wir sagen das seit Ewigkeiten. Was Weiße Menschen auch verstehen müssen, ist, dass diese Dinge uns traumatisieren. Du lebst unter hohem Druck, tu lebst mit dem Trauma und dann sind da immer Leute, die dich bitten, Dinge immer wieder zu erklären. Wenn jemand in einer missbrauchenden Beziehung gefangen wäre und man das Opfer ständig wieder befragen würde – keiner will das ständig wieder aufwärmen. Es ist doch ganz einfach: Wenn Schwarze Menschen oder Indigene diese Probleme lösen könnten, hätten sie es längst getan. Aber wir haben keine Macht. Dieses Problem kommt aus der weißen Gesellschaft und deshalb muss diese es auch korrigieren. Weiße Menschen sollten ihre Plattformen nutzen, um andere Weiße Menschen zu informieren und dieses Problem zu beenden. Denn offensichtlich erheben wir unsere Stimmen seit langem, aber wir wurden nicht gehört. Wir brauchen Verbündete, die uns helfen. Denn wir können das nicht allein durchsetzen. Deshalb ist es systemischer Rassismus. Weil wir in Amerika oder anderswo auf der Welt nicht die Macht haben, um die Veränderungen durchzubringen. Die rassistischen Strukturen existieren immer noch.
Wir sollen uns also informieren, unsere Plattformen nutzen…
Und das ist das Wichtigste: Habt keine Angst vor unbequemen Unterhaltungen mit anderen Weißen Menschen. Denn die Mehrheit der Weißen weiß, was andere Weiße hinter verschlossenen Türen sagen, und dann sagen sie sich „Ich will keine Probleme machen, ich will den Familienfrieden bewahren“. Aber es ist so eine wichtige Sache, denn hier geht es um Menschlichkeit! Weiße Menschen können ein bisschen Unbehaglichkeit am Esstisch ertragen. Sie werden das schaffen. Uns werden Waffen an den Kopf gehalten. Wenn jemandem beim Abendessen wütend auf dich wird, wirst du das überleben.
Hat der Umzug nach Europa die Dinge besser für dich gemacht?
Es hat Dinge für mich erträglicher gemacht, weil ich nicht mehr täglich mit Rassismus oder Mikroaggressionen konfrontiert bin. Ich lebe nicht in Angst. Versteh mich nicht falsch, wir haben hier unsere eigenen Probleme mit Rassismus. Aber Amerika ist das große Rassismus-Experiment. Es wurde auf den Rücken versklavter Menschen aufgebaut. ‚Rasse‘ ist immer der Elefant im Zimmer.
Diyan Antonio Duke (Künstlername Transatlanticbounce) ist ein autodidaktischer Multimediakünstler aus Bremen. Mit seiner Arbeit nimmt er Stellung zu sozialen Themen und dekonstruiert die Popkultur. Der 46-Jährige wurde in Louisville, Kentucky, geboren und ist dort aufgewachsen. 2009 verließ er Amerika wegen des alltäglichen Rassismus. Seither lebt er in Deutschland. ((c) Bild: Diyan Duke)
Greatt reading
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