Das „1,5-Grad-Ziel“

Neues vom Weltklimarat: Anfang des Monats hat das wissenschaftliche Gremium einen Bericht vorgestellt, der zusammenfasst, was eine globale Erwärmung um 1,5 Grad für den Planeten bedeutet – und wie wir dieses Ziel erreichen können. Denn so viel ist klar: Weniger bietet keiner.

Eine kurze Geschichte des Zwei-Grad-Ziels

Noch vor wenigen Jahren sprach man nicht davon, die Erderwärmung auf ambitionierte 1,5 Grad zu begrenzen, sondern auf zwei Grad. Das klingt alles danach, dass hier jemand mit Zahlen jongliert – 1,5; 2, ist das nicht alles ziemlich willkürlich?

Ist es. Der Wirtschaftswissenschaftler William D. Nordhaus zeigte 1977 in einer Fachveröffentlichung eine Grafik, in der die vorhergesagte Temperatur auf der Erde bis zum Jahr 2080 dargestellt ist. Um dem Leser zu helfen, diesen Temperaturanstieg einzuordnen, zeichnete er eine Linie bei zwei Grad ein: Die maximale Temperaturerhöhung, die es nach damaligem Wissen in den vergangenen 100,000 Jahren gab. Dass diese Linie die Diskussion um den Klimawandel für Jahrzehnte bestimmen würde, hatte Nordhaus vermutlich nicht beabsichtigt.

In den politischen Prozess gerieten die zwei Grad durch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU), der dem Kind zwar noch keinen Namen gab, jedoch eine Rechtfertigung: Die Schöpfung, wie wir sie aus unserer Erdepoche kennen, solle bewahrt werden. 1996 setzte sich der Europäische Rat offiziell zum Ziel, dass die durchschnittliche Erdtemperatur um maximal zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Wert steigen solle. Auf der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 erhielt das Zwei-Grad-Ziel Einzug in die unverbindliche Übereinkunft, auf die sich die Vertragspartner am Ende des Gipfels einigten. Ein Jahr später, in Cancun, wurde es dann offiziell anerkannt – und auch schon gleich kritisiert.

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Vom Zwei-Grad-Ziel zum 1,5-Grad-Ziel

Vor allem Inselstaaten wie Kiribati fanden: Die Erwärmung auf zwei Grad begrenzen zu wollen, ist lange nicht ambitioniert genug. Klar: Solche Inselstaaten sind vom steigenden Meeresspiegel besonders bedroht. Im Klimaabkommen von Paris heißt es deshalb, die Erwärmung solle auf deutlich unter zwei Grad gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt werden. Es sollten Anstrengungen unternommen werden, sie gar unter 1,5 Grad zu halten: Etwas, das man das 1,5-Grad-Ziel nennen könnte, war geboren.

Doch irgendwie fühlt sich das 1,5-Grad-Ziel seltsam an, und das nicht nur, weil es sich nicht so schön schreiben lässt wie Zwei-Grad-Ziel. Woran liegt das? Ich glaube, wenn man das Zwei-Grad-Ziel so interpretiert wie Carlo und Julia Jaeger in einem Artikel von 2011, kommt man der Sache näher. Die beiden Autoren behelfen sich mit einem Konzept aus der Spieltheorie: Dem fokalen Punkt (focal point). Bei einem strategischen Spiel, wo sich Teilnehmer ohne zu kommunizieren einigen müssen, entscheiden sie sich für die Lösung, die ihnen am natürlichsten oder offensichtlichsten vorkommt. Jaeger und Jaeger vergleichen das mit dem Beispiel Tempolimit: Klar kann man fragen, warum das Tempolimit 50 und nicht 47 oder 53 ist – es ist eben so, weil es allen am logischsten vorkommt. So ist das auch mit dem Zwei-Grad-Ziel: Es gibt uns eine Perspektive, ein Ziel vor, das wir uns vor Augen halten können, und irgendwie klingt es besser als 1,9-Grad-Ziel oder auch als 2,2-Grad-Ziel. Es ist also müßig, über die genaue Zahl zu streiten, es geht hier mehr um die Motivation, die sie erzeugt.

Andererseits muss so ein Ziel natürlich auch sinnvoll sein: Ein Tempolimit von 100 erfüllt nicht die gleichen Aufgaben wie ein Tempolimit von 50. Und leider scheint das Zwei-Grad-Ziel eben auch nicht die gleichen Bedürfnisse abzudecken wie das 1,5-Grad-Ziel. Laut dem jüngst erschienenen Sonderbericht des Weltklimarates sind alle mit dem Klimawandel verbundenen Risiken – z.B. Überschwemmungen, Dürren, Meeresspiegelanstieg, Nahrungsmittelknappheit – bei einer Erwärmung von zwei Grad größer als bei einer Erwärmung von 1,5 Grad. So zungenbrecherisch es auch klingen mag: Das 1,5-Grad-Ziel ist das bessere Ziel. Ist es auch realistisch?

Was ist nötig, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen?

Die gute Nachricht ist: Laut Weltklimarat ist es unwahrscheinlich, dass die Emissionen der Vergangenheit bis heute zu einer Erwärmung von 1,5 Grad führen. Die schlechte Nachricht: Wollen wir verhindern, dass sich die Erde um mehr als 1,5 Grad erwärmt, müssen wir unseren Lebensstil jetzt komplett umkrempeln – denn ein Grad wärmer als vor der Industrialisierung ist es bereits, und Veränderungen auf dem Planeten sind bereits spürbar. Das bestätigt auch der Sonderbericht.

In Zahlen liest sich der Schlachtplan des Weltklimarates so: Die globalen CO2-Emissionen müssen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2010 sinken (momentan stagnieren sie auf hohem Niveau). 2050 darf es netto keine CO2-Emissionen mehr geben. Klingt wie ein schöner Traum?

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In der Zusammenfassung des WBGU-Gutachtens von 1995 heißt es: „Die Fortsetzung der gegenwärtigen Emissionspraxis (Business as Usual) würde uns zwar noch ca. 25 Jahre Zeit geben, dann aber innerhalb weniger Jahre einen solch drastischen Minderungszwang erfordern, daß kaum Strukturen und Technologien vorstellbar sind, die diese Minderung erbringen könnten.“ 23 dieser 25 Jahre sind schon verstrichen, und die Emissionen sind nicht zurückgegangen. Jetzt stehen wir vor diesem beschworenen drastischen Minderungszwang wie der Ochs vorm Berg und fragen uns, wo wir die Strukturen und Technologien herzaubern sollen, die den gewünschten Wandel bringen. Wohlgemerkt, das Statement des WBGU bezog sich auf das Zwei-Grad-Ziel, das wir doch unterbieten sollen.

Laut Weltklimarat könnte es folgendermaßen funktionieren: Bis 2050 müssen erneuerbare Energien 70 bis 85 Prozent des Energiebedarfs decken (momentan sind es ca. 25 Prozent). Wo Energie durch fossile Brennstoffe gewonnen wird, müsste das entstehende CO2 in großtechnischen Anlagen abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden. So könnten wir zumindest Gas weiter nutzen, mit Kohle müsste Schluss sein. Und: Ganz ohne Geoengineering wird es nicht gehen. Die Möglichkeiten solchen technologischen Eingriffs in den Kohlenstoffkreislauf reichen von der Wiederaufforstung von Wäldern bis hin zu weniger gut untersuchten Methoden wie der Ozeandüngung, deren Nebenwirkungen wir nur erahnen können. Geoengineering wirft seine eigenen ethischen Fragen auf, aber jetzt steht es im Raum. So weit ist es also gekommen, dass die reine Begrenzung des CO2-Ausstoßes nicht mehr reicht, um die Erwärmung unter 1,5 Grad zu halten.

 

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